The Veil of the Temple

Sa, 9.7., 22:30 Uhr – So, 10.7. 5:30 Uhr  |  Martinskirche

Bringen Sie gerne Kissen und Liegen zum Konzert mit. Zudem sind Sie herzlich eingeladen später dazuzukommen oder früher zu gehen!

John Tavener: The Veil of the Temple

„…the supreme achievement of my life…“

Der britische Komponist John Tavener (1944 - 2013) begriff sein „Opus magnum“ The Veil of the Temple als den Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens – und in der Tat ist dieses Werk nicht nur ein Gipfelpunkt in logistischer, zeitlicher oder musikalischer Hinsicht, sondern auch die Kulmination einer lebenslangen philosophischen und spirituellen Reise.

Geboren in ein presbyterianisches Elternhaus zeigte der junge Tavener bereits früh ein starkes Interesse an Klängen und Klangfarben (eher denn an formal-theoretischen Aspekten) der Musik. Eine frühe Begegnung mit dem Werk Strawinskys löste in ihm den Wunsch aus, Musiker zu werden – seine körperlich schwache Konstitution (er litt am Marfan-Syndrom) verhinderte allerdings eine angestrebte Karriere als Pianist. Stattdessen wandte er sich 1962 unter der Anleitung von Lennox Berkeley dem Studium der Komposition an der Royal Academy of Music zu.

1968 feierte er mit der Kantate The Whale einen ersten großen Erfolg. Obwohl dieses Werk eindeutige Züge des damals vorherrschenden Modernismus trägt, entwickelte Tavener schon zu dieser Zeit ein instinktives Misstrauen gegen die zeitgenössischen Strömungen der Musik, die ihm – darin ähnelt er seinem Zeitgenossen Arvo Pärt – als überkomplex und vom wahren Kern der Kunst ablenkend erschienen.

1969 wurde er zum Professor für Komposition am Trinity College ernannt. Zeitgleich wandte er sich auf seinem spirituellen Weg zunächst dem Katholizismus zu, um schließlich 1977 zur Orthodoxie zu konvertieren. In seinen Kompositionen entkoppelte er sich auf der Suche nach Einfachheit, Reinheit und Klarheit immer weiter von den musikalischen Strömungen seiner Zeit.

„Die religiöse Tradition sagt, dass nur das Spontane wahr ist – wenn ich zu komponieren versuche und es nicht spontan ist, dann kann nichts dabei herauskommen. Sobald ich beginne nachzudenken oder auf Schwierigkeiten stoße, verwerfe ich alles. Das ist genau das Gegenteil der westlichen Kompositionsidee: dass jemand sich abmüht, damit eine Sache gelingt.“

1984 komponierte er auf diese Weise den bis heute populären Chorsatz The Lamb nach einem Gedicht von William Blake. Zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich immer näher daran, „seine“ Stimme zu finden – die er paradoxerweise nicht als seine eigene wahrnahm, sondern als die einer höheren Macht, die durch ihn hindurch sprach. In den 90er Jahren interessierte sich Tavener zunehmend für die Schriften von Mystikern wie z. B. Johannes vom Kreuz, Metaphysikern wie René Guénon und Frithjof Schuon oder aber auch für die Werke der Sufi-Poeten Rumi und Ibn Arabi sowie die Lehren des Hinduismus – Einflüsse, die sich alle auch in The Veil of the Temple wiederfinden lassen. Obwohl er sich selbst weiterhin als „essentially orthodox“ beschrieb, lassen sich doch in all seinen Spätwerken Hinweise auf die universalistische Theorie finden, dass alle organisierten Religionen schließlich nur verschiedene Interpretationen der immer gleichen darunterliegenden Kräfte sind.

In seinen letzten Jahren erlangte Taveners Musik eine ungeahnte Popularität: Song for Athene bei der Beerdigung von Prinzessin Diana, A new Beginning für die letzten Minuten des 20. Jahrhunderts im Londoner Millenium Dome, Filmmusik für Children of Men von Alfonso Cuarón, Kollaborationen mit Popstars wie Björk u. a. m. Im Jahr 2000 wurde er schließlich von der Queen zum Ritter geschlagen. Zeit seines Lebens hatte Tavener mit großen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, darunter mehrere Herzinfarkte und Schlaganfälle. 2013 verstarb er im Alter von 69 Jahren über der Komposition von Requiem Fragments, die sich mit „Beauty in Death“ (Schönheit im Tode) auseinandersetzen sollten.

Bernhard Schmidt

Sink this Universe in God

Fragen und Antworten zu „The Veil of the Temple“

Was war die Inspiration zu „The Veil of the Temple“?

The Veil wurde für die Temple Church in London geschrieben. Diese Kirche, von 1185 - 1240 vom Orden der Tempelritter erbaut, vereint in ihrer Architektur die berühmte Rotunde der Grabkirche zu Jerusalem und mittelalterliche gotische Elemente. Diese vom Raum vorgegebene Synthese findet sich auch in der Musik: West trifft Ost, Christentum, Islam und Hinduismus tragen ihren Teil zu Texten und Klangsprache bei.  War die Temple Church zur Zeit ihrer Errichtung noch ein Symbol der Spaltung, so wollte Tavener mit seinem universalistischen Werk zur Überwindung dieser Gräben beitragen.

Für welche Besetzung ist das Stück komponiert?

Der Zivilisationen-überspannende Ansatz findet sich auch in der Besetzung. Zum einen braucht es mehrere Chöre, um das Werk zu realisieren (auch hier werden also Grenzen überwunden und – wie in unserem Fall – kommt eine ganze Chorstadt zusammen), zum anderen wird neben vielen Gesangssolisten inklusive Knabenstimmen ein sehr diverses Instrumentarium aufgefahren: Die große Kirchenorgel darf nicht fehlen, sie wird gespiegelt in einer kleinen exotischen Schwester, dem Indischen Harmonium. Die Sopranistin tritt immer wieder in Dialog mit einer Duduk, einem Doppelrohrblatt-Instrument aus dem armenischen Raum. Als „uranfängliches“ Signal wird ein Tibetisches Horn verwendet, dessen Klang sich am Ende des Werkes dann „verwestlicht“ in einem Blechbläser-Septett wiederfindet (inklusive der Spielanweisung „wie trompetende Elephanten“). Ergänzt wird dies alles durch diverse Glocken und Pauken sowie einen elektronischen Orgelpunkt, der den Raum fundamental zum Schwingen bringt.

Ist „The Veil of the Temple“ Kirchenmusik?

Als John Tavener den Auftrag erhielt, ein ganznächtliches Stück zu schreiben, erinnerte er sich an eine neunzehnstündige byzantinische Vigil (nächtliche Gebetswache), der er in einem griechischen Kloster beigewohnt hatte und machte diese Erfahrung zur Grundlage seines Konzepts. The Veil soll keine eigenständige liturgische Handlung darstellen, sondern eine kontemplative Beschäftigung sein und die sakrale Fantasie im Zuhörer anregen.

Gibt es eine Handlung?

Beschrieben wird der Durchgang von der Dunkelheit (mit Beginn der Nacht) zum Licht (Sonnenaufgang am Ende des Werks), vom „alten“ zum „neuen“ Tempel: Beim Tod Christi riss der Vorhang im Tempel Salomos, der dort das Allerheiligste verbarg, in zwei Teile. Der Mensch wird durch Christi Menschwerdung, Tod und Auferstehung selbst zum Tempel Gottes, eine direkte Verbindung und Möglichkeit zur Kommunikation ist hergestellt – „so die Hoffnung“, wie Tavener in seinem Vorwort schreibt.

Die Sopran-Solistin führt als einzig durchgängige Rolle durch das gesamte Werk: Sie repräsentiert sowohl das Selbst (Atma), also auch Maria Magdalena, die engste vertraute Christi und die erste, die das leere Grab entdeckt. Sie vollzieht stellvertretend für das Publikum die Wandlung vom Dunkel ins Licht und soll dies dadurch symbolisieren, dass sie zu Anfang einen Schleier (veil) trägt. Das Zitat von Frithjof Schuon, das Tavener dem Werk voranstellt, wird somit doppelt deutlich: „Der Schleier wurde zu Licht, nichts ist mehr verborgen“. Der Vorhang im Tempel existiert nicht mehr, die Unterschiede der Religionen sind zum Ende des Werks aufgehoben.

Wie ist das Werk aufgebaut?

The Veil of the Temple ist in acht Zyklen unterteilt. Wie bei einer byzantinischen Vigil steigt jeder der Zyklen um einen Ton der Tonleiter an. So wird beim Erreichen des achten Zyklus der Kreis geschlossen, man ist wieder beim Anfangston angekommen, aber eben um eine Oktave erhöht. Gleich dem Weiterdrehen einer buddhistischen Gebetsmühle soll so mit jedem neuen Ton der Tonleiter ein neuer spiritueller Zustand symbolisiert werden.

Die ersten sieben Zyklen folgen alle dem gleichen Aufbau, werden aber mit jedem Zyklus länger und komplexer: So dauert der erste Zyklus lediglich 20 Minuten, der siebte weit über eine Stunde, das wichtige Hesychast-Gebet („Herr Jesus Christ, Sohn Gottes, habe Erbarmen mit mir“), das in mehreren Sprachen erklingt, ist zu Beginn einstimmig, im siebten Zyklus zwölfstimmig.

Jeder Abschnitt beginnt mit einer Sopran-Aria (Maria Magdalena/Atma) zu Texten des arabischen Dichters Muhammed i Rûmi, gefolgt von Gongschlägen und Tempelhorn, die das wiederkehrende Ritual eines jeden Zyklus einleiten. Das auf Englisch und Griechisch gesungene „Gebet des Herzens“(Hesychast-Gebet) bildet jeweils eine Zäsur zwischen verschiedenen Abschnitten. Im Zentrum eines jeden Zyklus steht eine Passage aus dem Johannes-Evangelium: In fortlaufender Folge werden die Abschiedsreden Jesu gesungen. Jeder Zyklus schließt mit einem Psalm.

Im achten Zyklus wird diese Abfolge unterbrochen, es kommen immer mehr österliche Texte hinzu. Plötzlich bricht die Komposition ab, Maria Magdalena singt „Ravouni“ (Rabbi, Meister). Der aufgeregte Sanskrit-Ruf der Bässe „Tat vam asi“ (Das bin ich) leitet zu den Anfangszeilen einer Upanishade (philosophischer Text des Hinduismus) den finalen gemeinsamen Hymnus aller Beteiligten ein: „Om. Sink this universe in God“ – „Om. Versenke dieses All in Gott.“

Der neue Tag ist angebrochen, Christus ist auferstanden, die Gräben sind – zumindest musikalisch-philosophisch – überwunden.

Lukas Grimm

Ausführende

Cycle I-VIII:

Alice Fuder, Sopran
Hovhannes Margaryan, Duduk
Lukas Grimm, Indisches Harmonium

Julie Pinsonneault, Orgel / Drone
Philipp Becker, Percussion
Moritz Sasowski, Percussion
N.N., Tibetisches Tempelhorn

Cycle I-IV  |  22:30 – 1:15 Uhr

Gruppenfoto Kammerchor
Foto: Andrea Schiffner

Freiburger Kammerchor
Lukas Grimm, Leitung
→ www.freiburgerkammerchor.de

Gruppenfoto JSE

John Sheppard Ensemble Freiburg
Bernhard Schmidt, Leitung
→ www.sheppardensemble.de

 

Knabensolisten der Freiburger Domsingknaben Seligpreisungen Cycle II + IV
Simon Jass, Tenor Psalm Cycle III
Tiago Oliveira, Tenor  
Gabriel Sin, Tenor Seligpreisungen Cycle III
Georg Gädker, Bariton Gospel Cycle III + Psalm Cycle IV
Marcel Raschke, Bariton Gospel Cycle II
Friedemann Gottschlich, Bass Gospel Cycle I + Psalm Cycle II
Christian Walter, Bass Psalm Cycle I + Gospel Cycle IV

Jens Ludwig, Übertitel

Cycle V&VI  |  ca. 1:15 – 3:30 Uhr

Studiochor der MHS Freiburg & Madrigalchor Freiburg
Christopher Flaskamp, Johannes Kaupp, Daryna Kovach und
Johannes Opfermann, Leitung
→ www.madrigalchorfreiburg.de

Evangelische Studierendenkantorei Freiburg
Friederike Scheunchen, Leitung
→ www.studierendenkantorei-freiburg.de

 

Knabensolist der Freiburger Domsingknaben Seligpreisungen Cycle VI
Hans Jörg Mammel, Tenor  
Tiago Oliveira, Tenor  
Akinobu Ono, Tenor  
Cyril Escoffier, Tenor Seligpreisungen Cycle V
Francesc Ortega y Marti, Bariton Psalm Cycle V
Gerhard Nennemann, Bariton  
Malte Kebschull, Bariton Gospel Cycle V
Ansgar Theis, Bass Gospel Cycle VI
Friedemann Gottschlich, Bass  
Jan Sauer, Bass Psalm Cycle VI

Sven Hinz, Übertitel

Cycle VII  |  ca. 3:30 – 4:40 Uhr

Freiburger Bachchor
Hannes Reich, Leitung
→ www.freiburger-bachchor.de

Gruppenfoto HSK
Foto: Ulrich Hornstein

Heinrich-Schütz-Kantorei Freiburg
Cornelius Leenen, Leitung
→ www.hsk-freiburg.de

Cycle VIII  |  ca. 4:40 – 5:30 Uhr

Freiburger Bachchor
Freiburger Kammerchor
Heinrich-Schütz-Kantorei Freiburg
John Sheppard Ensemble Freiburg

Gruppenfoto Mädchenkantorei

Mädchenkantorei am Freiburger Münster
Martina van Lengerich, Leitung
→ www.freiburg-dommusik.de

Jan Jerlitschka, Countertenor
Lukas Grimm, Countertenor
Bernhard Schmidt, Countertenor
Simon Jass, Tenor
Hans Jörg Mammel, Tenor
Tiago Oliveira, (Counter)Tenor
Akinobu Ono, (Counter)Tenor
Gabriel Sin, Tenor       Gospel Cycle VII
Cyril Escoffier, Tenor
Georg Gädker, Bariton
Marcel Raschke, Bariton
Malte Kebschull, Bariton
Francesc Ortega y Marti, Bariton
Ansgar Theis, Bass
Friedemann Gottschlich, Bass
Jan Sauer, Bass
Christian Walter, Bass

Franziska Jacknau, Frieder Reich, Trompete
Pablo Miguel, Martin Reiter, Hanna Rottmayer, Horn
Hans Skarba, Tenorposaune
Roman Viehöver, Bassposaune
Nanae Kubo, Pauke

Einstudierung Solisten der Freiburger Domsingknaben:
Boris Böhmann

Sven Hinz, Übertitel

Frühstück von Kaisers Backstube

Ab 05:30 Uhr gibt es ein Frühstück für alle Beteiligte und Publikum,
welches freundlicherweise von Kaisers Backstube gesponsert wurde.

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